Begabt für den Beruf, aber der Zugang bleibt versperrt

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Begabt für den Beruf, aber der Zugang bleibt versperrt

Unser Bildungssystem istdurchlässig, was für eine Lehrebedeutet, dass sie in der Regelauf verschiedenen Niveausabsolviert werden kann unddass es verschiedene Wege gibt,um ein Berufsziel zu erreichen.Zum einen gibt es die dreioder sogar vierjährige Lehremit Eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ) jeweils mitoder ohne Berufsmatur. Zum anderen gibt es für zahlreicheBerufe die zweijährige Lehre mit Eidgenössischem Berufsattest (EBA) für praktischBegabte.

Eine Mutter hat mir kürzlich das Leid ihrer Tochter geklagt, das beispielhaft für Ausbildungslücken im Bereich EBA steht: Ihre Tochter, äusserst motiviert für den Beruf und in der Praxis sehr geschätzt, musste die Ausbildung zurFachfrau Betreuung Kinder(FaBe Kinder) mit Niveau EFZ abbrechen, weil sie den schulischen Anforderungen nicht gerecht werden konnte.Ein Wechsel auf Niveau EBA war nicht möglich, weil es keinen entsprechendenEBA Lehrgang gibt.

Im Sozialbereich gibt es aktuell auf EBA-Stufe nur die Ausbildung zur Assistentin Gesundheit und Soziales. Das Kompetenzprofil und die Ausbildungsplätze sind auf ältere Menschen ausgerichtet. Für junge Menschen, die sich zur Arbeit mit Kindern berufen fühlen, ist die Ausbildung keine Alternative.

Immer wieder erreichen mich Rückmeldungen aus der Praxis: Lernende, die mit viel Herzblut bei der Sache sind, scheitern an schulischen Hürden. Es stellen sich die Fragen: Was geschieht mit diesen jungen Menschen? Wer unterstützt sie? Und wie stellen wir sicher, dass sie nicht den Anschluss verlieren? Lehrabbrüche ohne Anschlusslösungen haben schwerwiegende Konsequenzen auf persönlicher und gesellschaftlicher Ebene. Wer keine Anschlusslösung findet, gerät leicht in eine Spirale aus Perspektivlosigkeit, geringem Selbstwert, psychischer Belastung oder sogar in Abhängigkeit von Sozialhilfe oder Invalidenversicherung (IV).

Ein unterstützendes Gespräch ist wichtig, reicht aber nicht. Eine gute Begleitung ist notwendig, bis die jungen Menschen wieder eine echte Perspektive haben. Es braucht echte Optionen. Auf nationaler Ebene wurde die Entwicklung einer EBA Ausbildung in der familien- und schulergänzenden Kinderbetreuung angestossen, damit auch ausschliesslich praktisch begabte Jugendliche ihre Chancen haben in diesem immer wichtiger werdenden Berufsfeld. Das ist ein wichtiger Schritt, auch wenn es derTochter meiner Bekannten aktuell nicht weiterhilft. Bis zur Umsetzung braucht es mindestens zwei bis drei Jahre und gemeinsame Anstrengungen vonseiten der Organisation der Arbeitswelt (OdA) in Zusammenarbeit mit Bund und Kantonen. Politik entsteht im Dialog. Wenn Menschen mit ihren Anliegen an mich herantreten, nehme ich sie ernst. Denn politische Lösungen beginnen dort, wo wir hinhören und gemeinsam nach Wegen suchen. Gerade im Bildungsbereich dürfen wir niemanden zurücklassen – schon gar nicht jene, die für ihren Beruf brennen.

Andrea Grossen-Aerni

Artikel “Tribüne” ZO